Sidney Lumet
Seine Filme
Lumet - Die zwölf GeschworenenDie 12 Geschworenen
Lumet - Fail SafeFail Safe
Lumet - The HillThe Hill
Lumet - SerpicoSerpico
Lumet - HundstageHundstage
Lumet - NetworkNetwork
Lumet - Prince of the CityPrince of the City
Lumet - Die Flucht ins UngewisseFlucht ins Ungewisse

1965
The Hill
Ein Haufen toller Hunde

Ein Hügel mitten auf dem Gelände eines Militärgefängnisses. Während ein zusammengebrochener Soldat von vier Kollegen vom Hügel getragen wird, exerzieren die Häftlinge in der Sonne. Schon im Eingangsbild deutet sich an, was den Zuschauer und die neuen Häftlinge, die nichts ahnend und vergnügt ihre Haft antreten, erwartet. Es wird gar nichts Unerwartetes geschehen, denn es ist die übliche Geschichte, die sich fast zwangsweise entwickelt, wenn fünf Mann, fünf unterschiedliche Charaktere, auf engstem Raum eingesperrt sind. Sie werden nicht nur mit den unmenschlichen Aufsehern aneinander geraten, sondern auch untereinander. Thema und Geschichte sind zwar wenig originell und an manchen Stellen recht klischeebeladen. Trotzdem vermag der Film zu fesseln, da Lumet die in Kriegsfilmen allzu häufig anzutreffende Zwei-Lager-Sichtweise aufbricht. Normalerweise findet sich in solchen Filmen die absurde Konstellation, daß die Gefangen die Guten und die Wärter die Bösen sind. Der Zuschauer soll sich schließlich auf die Seite der Schwächeren schlagen. Zwar ist der Film in schwarz-weiß gedreht, Lumet nutzt aber die Schattierungen, um Gut und Böse aufzulösen, und verteilt sie gleichermaßen unter Gefangenen und Wärtern.
Das Lager ist streng hierarchisch strukturiert. Der Rangniedrigste, Staff Sergeant Williams, wird sich letztlich als der Mächtigste erweisen. Er ist die einzige Figur ohne jede Ambivalenz, ein menschenverachtender Schleifer, der niemals Zweifel an seinem Tun hegt. Sein Vorgesetzter Royal Sergeant Major Wilson ist die interessanteste Figur. Ein Kunststück, das Lumet mit dieser Figur gelingt: so diktatorisch, hart und verschlagen, willkürlich in seinen Handlungen, und doch ist der Zuschauer geneigt, sich auf seine Gerechtigkeit zu verlassen. Harry Andrews gibt dieser Figur eine unerklärliche Ambivalenz. Wilson ist der eigentliche Befehlshaber, denn der Lagerkommandant überläßt ihm das Feld. Alkohol und Huren sind ihm wichtiger als seine Dienstpflichten. Auch der Stabsarzt, der Wilson im Rang gleichsteht, nimmt es bei den Tauglichkeitsuntersuchungen nie so genau. Deswegen ist er in Andrews Hand und zur Duldung der Unmenschlichkeiten gezwungen. Und da ist noch der labile Offizier Harris, der das ganze Schauspiel offenbar schon länger nicht mehr verkraftet. Er ist es auch, der schließlich die Seiten wechselt. Auf Seiten der Häftlinge gibt es den guten Sergeant Joe Roberts (Sean Connery), den starken Gegenspieler Jock McGrath, den feigen Schwächling Monty Bartlett, der jederzeit bereit ist, alle zu verraten, den aufrichtigen Neger Ossie King, der ständig unter rassistischen Hänseleien von allen Seiten leidet, und den unscheinbaren George Stevens, der Opfer der Schleiferei wird und damit eine Revolte auslöst, wodurch auch die Machtverhältnisse durcheinander geraten.
Auch in The Hill muß sich Lumet eine Ungenauigkeit vorhalten lassen. Gerade einem der subtilsten Hollywoodregisseure, noch dazu einem ausgesprochenen Justizfachmann, muß man vorhalten dürfen, daß er Sgt. Williams zum Mörder abstempeln läßt, ohne dies an irgendeiner Stelle zu hinterfragen. Dabei wäre diese maßlose Übertreibung gar nicht nötig, denn Sgt. Williams ist verachtenswert genug. Gewiß, er trägt die Hauptschuld am Tod des Häftlings. Man darf ihn, der unmenschlichen Schleiferei wegen, der Körperverletzung bezichtigen. Auch der unterlassenen Hilfeleistung ist er schuldig, da er die Verletzungen des Häftlings ignoriert. Ein Mörder ist er deswegen noch lange nicht, denn selbst die Mitgefangen erkennen die Schwere von Stevens' Verletzungen nicht, bis er zusammenbricht. Ihnen darf man die verbale Entgleisung, Williams als Mörder zu bezeichnen, durchgehen lassen, einem Regisseur, der Die zwölf Geschworenen gedreht hat, aber nicht. Ein Wermutstropfen in einem ansonsten sehenswerten Film, der mit einer hervorragenden Kamera, eindrucksvoller Bildästhetik, guten Darstellern und hoher Intensität besticht. Der klaustrophobischen Enge in einem Militärgefängnis, aus dem es für die Gefangenen kein Entrinnen zu geben scheint, kann auch der Zuschauer nicht entkommen. Das Hauptproblem des Films liegt jedoch im Vergleich. Kubricks Full Metal Jacket ist einfach besser.

Ricardo Salva,
April 2011