Sidney Lumet
Seine Filme
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Lumet - SerpicoSerpico
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Lumet - NetworkNetwork
Lumet - Prince of the CityPrince of the City
Lumet - Die Flucht ins UngewisseFlucht ins Ungewisse

1975
Dogs Day Afternoon
Hundstage

Der absurdeste Banküberfall der Filmgeschichte. Schon wenn Sunny (Al Pacino) mit seinen zwei Freunden die Bank betritt, weiß man, daß das nicht gutgehen kann. Es dauert nur wenige Minuten bis sich der erste Bankräuber verabschiedet. Er hat es sich anders überlegt, zwar etwas spät, aber noch rechtzeitig genug, um das Budget zu entlasten. Sunny kann ihn gerade noch davon abhalten, für die Heimfahrt den Fluchtwagen zu nehmen. Bei diesem Überfall geht alles schief, was schiefgehen kann. Selbstverständlich ist kein Geld im Tresor. Gerade eben gestern wurde es abgeholt. Die vorhandenen, numerierten Scheine will Sunny nicht, weil er Experte ist, was er besonders herausstellen muß, damit man es ihm abnimmt. Aber er will um alles in der Welt vermeiden, daß sich die Bankangestellten ein falsches Bild von ihm machen. Schließlich hat er früher selbst einmal in einer Bank gearbeitet. Sunny erklärt jeden seiner Schritte, damit die anderen wissen, daß er weiß, was er tut. Immerhin ist so viel Geld in den Kassen, damit sich die mitgebrachte Sporttasche wenigstens zur Hälfte füllt. Gerade als sich Sunny mit seinem merkwürdig schweigsamen Kumpel Sal (köstlich: John Cazale) aus dem Staub machen will, wird er vom Direktor ans Telefon gebeten. Die Polizei will ihn sprechen. Sunny muß seine Pläne ändern. Er verbarrikadiert sich mit den Bankangestellten in der Bank. Gemeinsam warten sie auf den georderten Hubschrauber, der sie zum Flughafen bringen soll, wo gefälligst ein Jet bereit zu stehen hat. Schließlich bestimmt hier Sunny, wo es lang geht.

Während Sal die Angestellten in Schach hält, verhandelt Sunny mitten auf der Straße mit dem Detective (vertrauenerweckend: Charles Durning) und gewinnt dabei ganz unbeabsichtigt die Sympathie der Schaulustigen, die sich in immer größerer Zahl um die Bank versammeln, um ihren Helden zu feiern. Selbst die Geiseln sympathisieren mit Sunny und beginnen, untereinander die bevorzugten Reiseziele zu erörtern, da sich Sunny noch nicht genau überlegt hat, wo die Fluchtmaschine hinfliegen soll. Niemand versteht, warum Sunny dann unbedingt nach Algerien will. Er weiß es wahrscheinlich selbst nicht. Er weiß nur, daß es Wyoming, wie Sal vorschlägt, nicht sein kann, da es in Amerika liegt. Die Situation in der Bank oszilliert zwischen harmlos und brandgefährlich, kann jederzeit auf die eine oder andere Seite ausschlagen. Einmal zittert die Sekretärin vor Angst, der Direktor hat Diabetes und bricht zusammen und ein Wärter erleidet einen Herzanfall, dann aber fühlt man sich wie auf einem Betriebsfest, wo sich die Sekretärinnen Witze erzählen und ihre privaten Probleme diskutieren. Zur Komik trägt sicherlich bei, daß auf jede noch so blödsinnige Frage vollkommen ernsthaft geantwortet wird.

Natürlich interessieren sich auch die Medien für den Fall. So kann Sunny seine ganze Geschichte im Fernsehen erzählen und erwirken, daß ihm nahestehende Personen herbeigeschafft werden. So kann er sich auch mit seinem homosexuellen Liebhaber aussöhnen, zu dessen Finanzierung der Geschlechtsumwandlung Sunny den Überfall überhaupt geplant hat, soweit es erlaubt ist, in diesem Fall von Planung zu sprechen. Als im Fernsehen dann von homosexuellen Bankräubern gesprochen wird, begehrt der immer schweigsamer und unberechenbarer gewordene Sal auf. Wie steht er denn nun da in der Öffentlichkeit? Irgendwie ahnen nun auch die Figuren, daß die Sache nicht gut ausgehen kann. Folgerichtig diktiert Sunny einer Sekretärin sein Testament in allen Details. Überraschenderweise schaffen sie es sogar bis zum Flughafen. Dort aber wird Sal erschossen und Sunny verhaftet.

Hundstage fusioniert Satire und Tragödie. Es wäre gar nicht nötig gewesen, eingangs darauf hinzuweisen, daß der Film auf einer tatsächlichen Begebenheit beruht, denn trotz der Absurdität des Unterfangens bleiben Handlung und Akteure stets glaubwürdig. Auch in Hundstage legt Lumet nicht viel Wert auf die Bildästhetik, doch die unruhige Handkamera und die wirren Schnitte sind genau das richtige Stilmittel um die aufgeladene Stimmung zu transportieren. Hundstage ist ein Meisterwerk.
Ricardo Salva, April 2011