Sidney Lumet
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Lumet - Die Flucht ins UngewisseFlucht ins Ungewisse

1957
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Die 12 Geschworenen

Lumets erster Film wurde gleich ein Klassiker. Er nimmt sich eines Themas an, das ihn während seiner Karriere nicht mehr loslassen wird: die Justiz. Die Handlung beginnt, wenn Justizfilme normalerweise zu Ende sind: nach der Verhandlung. Der Einstieg in ungewöhnlichen Handlungsphasen soll zu Lumets Markenzeichen werden. Die zwölf Geschworenen treffen sich im Hinterzimmer des Gerichtssaals, um über das Urteil zu beraten, das längst gefallen zu sein scheint. Wenn wir mit ihnen ins Zimmer hineingehen, wissen wir nichts von dem Fall. Auch am Ende des Films werden wir nicht wissen, ob der Angeklagte schuldig war. Doch bald merken wir, daß es Lumet darum gar nicht geht. Es geht ihm um zweierlei: Einerseits darum, daß zur Verurteilung eines Menschen die hohe Wahrscheinlichkeit seiner Schuld nicht genügt, daß niemand, auch nicht die Vertreter des Volkes, über die Zukunft eines Menschen bestimmen kann, solange hinsichtlich seiner Schuld keine absolute Gewißheit besteht. Es geht also um die Frage des berechtigten Zweifels. Zweitens geht es aber auch um die Auffassung der Geschworenen zur Verantwortung für ihre Aufgabe, und damit um das Problem, daß juristische Laien über das Leben eines Menschen zu entscheiden haben. Menschen, die sich allzu leicht von persönlichen Motiven und Vorurteilen beeinflussen lassen. Lumet sollte das Thema bis zum Ende seiner Karriere immer wieder, zuletzt im Jahr 2006 mit Find me guilty, aufgreifen.

Die zwölf Geschworenen ist ein Kammerspiel mit überragenden Schauspielern. Neben Henry Fonda und Lee J. Cobb in den Hauptrollen überzeugen auch die übrigen Geschworenen. Im Laufe von 90 Minuten gelingt es Lumet nicht nur, die Unklarheiten des Tathergangs zu skizzieren. Es gelingen ihm auch zwölf Charakterzeichnungen. Um im Bild zu bleiben: Lumet übermalt die Skizze des Tathergangs mit Wasserfarben und läßt sie auf der Leinwand verschwimmen, bis auch der letzte die Wahrheit nicht mehr erkennen kann. Währenddessen treten die mit spitzer Feder gezeichneten Charaktere der Geschworenen immer deutlicher hervor.

Freilich fehlt an manchen Stellen die Präzision, wie es allen Gerichtsfilmen eigen ist. Das auf dramaturgische Effekte angewiesene Hollywood versucht, den in der Realität doch recht trockenen Verlauf einer Gerichtsverhandlung zu dramatisieren und mit Spannungselementen zu versehen, die in der Realität nicht vorkommen. Der Versuch, sich aus den Gerichtsroben zu winden, geht wie so oft auf Kosten der Glaubwürdigkeit. Wenn Henry Fonda ein Duplikat der Tatwaffe in den Verhandlungstisch spießt, dann erzielt er damit zwar einen beeindruckenden Effekt. In der Realität könnte es wohl kaum dazu kommen. Vielleicht noch störender ist aber eine sprachliche Ungenauigkeit, in die sich die Geschworenen zweimal verheddern, suchen sie doch ständig nach Beweisen für die "Unschuld des Angeklagten". Genau darum geht es schließlich nicht, denn die Aufgabe von Geschworenen ist es nun einmal nicht, die Unschuld des Angeklagten zu beweisen. Vielmehr ist es Aufgabe der Staatsanwaltschaft, dessen Schuld zu beweisen. Für einen Freispruch genügt der berechtigte Zweifel. Der Beweis der Schuld war in Die zwölf Geschworenen genauso wenig zu erbringen, wie der Beweis der Unschuld. Daher mußte der Angeklagte freigesprochen werden. Das zu zeigen, ist Lumet gelungen.

Ricardo Salva
April 2011